Säurebilder

„Wenn ich im Sommer nach Mallorca ziehe und für meine Malerei eine neue Saison eröffne, dann suche ich fast aus Prinzip neue Grenzbereiche. Ich bin stets auf der Suche und ich weiß von Schritt zu Schritt nicht, was werden wird. Die Entwicklung von Moment zu Moment hält mich in meinem Beruf und fasziniert mich immer wieder neu.“ 
Absichtslosigkeit, Neugierde, Zufall eben. Serafin, Knies „guter Geist auf Mallorca“, erzählte im Jahre 1992 von einem mallorquinischen Maler, der seine Bilder mit Säure behandelte. Knie ließ der Gedanke nicht los und begann zu experimentieren. Ein wertvoller Prozess, war doch die „kniesche“ Kombination der Zutaten in dieser Mischung bislang unerprobt. 
Zuerst erfolgt die Grundierung der Leinwand oder des Chapiteaus. Hierfür verwendet Rolf Knie satt durchtränktes und eingefärbtes Papiermâché, welches er grob auf dem Malgrund verteilt. Danach zieht er mit einem Pinsel direkt durch die Farbmasse. Das Papiermâché gibt der Farbe ihr pastoses Volumen und kann nun von der Säure angegriffen werden. Die Zusammensetzung der Säure ist bisweilen ein wohlgehütetes Geheimnis.
Im Vordergrund stehen actio et reactio. So liegen Zerfall und Zufall nah beieinander. Ist die Konzentration der Chemikalie zu hoch, oxidieren die Bilder zu stark und werden regelrecht zerfressen. Die Farbschichten zerfallen zu Staub. Nichts bleibt von dem, was als Bildgedanke angedacht war. Unwiderruflich verloren. 

Der Begriff des Zufalls impliziert auch immer, dass es hätte anders kommen können. Die Unendlichkeit der Möglichkeiten überschreitet die Grenzen des Kontrollierbaren – der Zufall spielt sich neu ein. Die Säurebilder von Rolf Knie beruhen auf der Eigendynamik der Materialien. Ist der chemische Prozess einmal in Gang gesetzt, lässt er sich nicht aufhalten. Das Bild bestimmt sein Schicksal selbst. Erst im Bild wird ersichtlich, ob ein kreativer Gedanke hält, was er versprach. 
Dass Rolf Knie gegenständlich auf die bewegten, dramatisch grundierten Leinwände eingeht, ist zu einer erkennbaren Technik geworden. Die charaktervolle Leinwand und die Figuren finden wie selbstverständlich zueinander. Rolf Knies Säurebilder sind ein kraftvolles Spiel zwischen Gestaltlosigkeit und Gestalthaftigkeit. Haptisch und sinnlich erfahrbar.